Vom Wert des Zuhörens

Für eine Kultur der Aufmerksamkeit in der Medizin

4. Freiburger Symposium zu den Grundfragen des Menschseins in der Medizin.

10. Juni 2016, 12:15-19:00 Uhr, Audimax (Kollegiengebäude II)
11. Juni 2016, 09:00-18:00 Uhr, Aula der Universität (Kollegiengebäude I)



PD Dr. David Espinet

Akademischer Mitarbeiter im Fach Philosophie, Universität Freiburg

Abstract: »Was heißt Zuhören? Zu den Voraussetzungen einer medizinischen Praxis«

Aller Rationalisierung, Technisierung und Spezialisierung der medizinischen Praxis zum Trotz bleibt das Patientengespräch – wie reduziert auch immer – Bestandteil der Behandlung. Die Gründe liegen auf der Hand: Einmal nehmen Diagnosen in der Regel ihren Ausgang von Symptomen, welche die Betroffenen selbst beobachten und artikulieren. Zum pragmatischen gesellt sich zudem noch ein normativer Grund, denn die Medizin – auch die klinische Maschinerie –, muss, wenn sie ihr menschliches Antlitz nicht verlieren möchte, die Begegnung zwischen Arzt und Patienten zumindest strukturell vorsehen. Um den genauen intentionalen Charakter des Zuhörens, so wie es auch in der medizinischen Praxis erfolgen sollte (und häufig nicht erfolgt), herauszuarbeiten, entwickle ich in einem ersten Schritt eine Phänomenologie des Hörens in nuce. Hier wird es darum gehen, ein Moment der unvoreingenommenen Offenheit zur Geltung zu bringen, die auch dem wohl informierten Blick medizinischer SpezialistInnen nicht fehlen sollte – dies sowohl zum Zweck einer möglichst treffsicheren Diagnose als auch aus normativen Implikationen. Um den spezifisch normativen Gehalt der Forderung nach aufmerksamen Zuhören herauszustellen, interpretiere ich das Zuhören in einem zweiten Schritt als eine Figur der Anerkennung, wie sie in den gegenwärtigen Debatten um Hegels und Kants Verständnis von Sittlichkeit durch neuere Strömungen der Phänomenologie und der Kritischen Theorie reaktualisiert worden ist. Hier wird es darum gehen, in der Praxis des Zuhörens ein grundlegendes Moment intersubjektiver Achtung und Freiheit konkret und sachorientiert aufzuweisen. Abschließend wende ich mich drittens der Frage zu, inwiefern das intersubjektive Fremdverhältnis, das im Zuhören entsteht, zugleich auf ein spezifisches Selbstverhältnis der jeweiligen Akteure, die einander zuhören, verweist. Dafür skizziere ich in einem Ausblick die aristotelische Konzeption der eudaimonia, des menschlichen Glücks, und den darin meist unbeachteten zentralen Begriff des Hörens auf sich selbst.