„Schicksal ist nichts als das Dichte der Kindheit.“ (Rilke)
Religionsphilosophisches Nachdenken
Schon die alteuropäische philosophische Ethik hat zur Klärung eines nicht von außen festlegbaren telos das Wort „Sinn“ entwickelt im Unterschied zum Zweck: Zwecklos, aber sinnvoll sind die Grundvollzüge menschlichen Daseins. Zwecklos: weil nicht einzig, ja im Entscheidenden nicht von der Zielbestimmung anderer abhängig; sinnvoll, weil in sich selbst stimmig, auch wenn niemand anderem mit diesem Leben „genutzt“ ist. Dies ist ein Boden, den die Zweckrationalität vermeidet, da sie hier an ein plus ultra des Daseins rührt.
Dieses plus ultra lässt sich zumindest durch eine Frage aufhellen: Sind es denn die Eltern, die Kette unbekannter Vorväter und Vormütter, die das Kind gewollt und ihrem Willen entsprechend „gemacht“ haben? Tatsächlich ist es so, dass die Eltern selbst dem Kind zwar die leiblichen und seelischen Vorgaben, den Genotyp, mitgeben, aber keineswegs im Sinne bewusster Formung. Weder kennen sie das Kind im Vorhinein, noch bestimmen sie (bisher) sein Geschlecht oder seine Anlagen; ihre Aufgabe ist viel mehr, es kennenzulernen als es zu erschaffen. Bestimmt sich aber das Kind selbst später, wenn es sein mitgegebenes Potential gestaltet, sich die eigene Form erarbeitet? So gefragt, lässt sich der Satz bejahen, allerdings bleibt nach wie vor jede Mitgift als datum bestehen. Daher müssen auch Eltern das Kind erst als Unbekanntes annehmen, ja, dass das Kind selbst muss sich später im Reifungsvorgang annehmen, seine Grenze und sein Nichtvermögen ebenso wie seine Mitte und sein Können. Es ist sich ja auch selbst durch seine Geburt „voraus“, und nicht nur ist das Leben mit Heidegger als ein „Vorlaufen in den Tod“ zu kennzeichnen, sondern umgekehrt ist Geburt ein „Vorlaufen in das Leben“. Lässt sich dieser geheimnisvolle Anfang beleuchten, zumindest paradigmatisch für eine Anthropologie religionsphilosophisch lesen?