Schicksal –
dieses Wort ist geradezu ein Fremdwort für die Medizin geworden. Es scheint nicht in das Konzept einer Medizin zu passen, die wie ein Wirtschaftsunternehmen um ihre Patienten buhlen muss. Unvereinbar scheint das Schicksal auch mit der verbreiteten Vorstellung zu sein, der Mensch bestimme doch selbst nicht nur die Ausgestaltung des Lebens, sondern die Grundbedingungen des Lebens selbst. Der Anspruch, das Schicksal sei komplett aus dem Denken der Medizin zu verbannen, macht sich an verschiedenen Entwicklungen der modernen Medizin bemerkbar. So verliert die Krankheit im Zeitalter von Gendiagnostik und Präventivmedizin immer mehr das Signum des Schicksalhaften und wird zunehmend als Resultat des eigenen Verhaltens, der eigenen Versäumnisse verstanden. Zuweilen wird der Eindruck vermittelt es liege nun in der Hand des Patienten, wann und ob er krank wird.
Selbst Geburt und Tod werden in der modernen Medizin längst nicht mehr als unverfügbares Geschick begriffen. Nachkommen werden nicht nur dankbar als Geschenk empfangen, sondern unterstützt durch die Angebote der Medizin immer mehr als herstellbare und überprüfbare Produkte betrachtet. Und auch Art und Zeitpunkt des Todes erscheinen uns heute immer weniger als unverfügbare Geschicke, sondern sie verwandeln sich zu individuell gestaltbaren Prozessen, bis hin zu den Überlegungen, den eigenen Tod medizinisch assistiert und kontrolliert herbeizuführen.
Der moderne Mensch glaubt zuweilen, sich vom Schicksal verabschieden und dadurch seine Freiheit ausüben zu können. Doch er übersieht dabei, dass das Schicksal nach wie vor sein ganzes Leben bestimmt und der Zugewinn an Gestaltungsmöglichkeiten auch neue Formen der Unfreiheit zur Folge hat.
Die Grenze zwischen der Gestaltung des Lebens und Annahme des Gegebenen ist fließend, und die moderne Medizin ist aufgefordert, über diese Grenze näher nachzudenken, wenn sie nicht blind einem Machbarkeitsglauben folgen und damit maßlose Ansprüche mit generieren will. So stellt sich die entscheidende Frage, wie eine humane Medizin angemessen und weitsichtig reagieren kann auf den gesellschaftlichen, aber auch medizininternen Anspruch, das gesamte Leben planbar, kontrollierbar und verfügbar zu machen. Eine unreflektierte Bedienung utopischer Ansprüche des Patienten wäre genauso unangemessen wie eine rein fatalistische Grundorientierung.
Das Symposium möchte eine sowohl innerwissenschaftliche als auch öffentliche Diskussion über die Bedeutung des Schicksals für die moderne Medizin anregen und damit eine Freiburger Veranstaltungsreihe zu den Grundfragen des Menschseins begründen.
Prof. Dr. Giovanni Maio M.A.