Die Zerbrechlichkeit des Glücks
Kontingenzerfahrungen aus ethischer Sicht
Metaphern des zerbrochenen Glases sind in unseren Vorstellungen vom verlorenen Glück häufig anzutreffen. Die trotzige Behauptung, dass Scherben Glück bringen, gehört ebenso dazu wie die Beschwörungen einer stets bedrohten und fragilen Vollkommenheit, die angesichts der Endlichkeit und Störanfälligkeit leiblicher Existenz ein schöner Traum bleiben muss. Ethisches Sprechen im Kontext der Medizin gerät an eine Grenze der Kompetenz, wenn Aussagen über Erfahrungen versucht werden, die in der Moralphilosophie der Moderne zunehmend marginalisiert wurden. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um exotische Randphänomene, sondern um Kernfragen unseres Umgangs mit Leben und Sterben. Ich möchte deshalb die Hemmschwellen einer adäquaten Verständigung zum Anlass nehmen, einige Strukturen ethischer Diskurse zu beschreiben, deren distanzierte Wahrnehmung vielleicht zu einer selbstkritischeren Haltung beizutragen vermag.
Der Vortrag beginnt mit einem Rückblick auf ethische Vorstellungen von der prinzipiellen Machbarkeit des Glücks (1.). In einem zweiten Schritt werden Kontrasterfahrungen des Scheiterns und entsprechende Interpretationsmodelle skizziert (2.), von denen die Konzepte der Unverfügbarkeit und Gelassenheit (3.) sowie die verschiedenen Praktiken der „Kontingenzbewältigung“ (4.) besondere Aufmerksamkeit finden. Die Überlegungen münden in einen stark von Paul Ricœur inspirierten Vorschlag zur Neuvermessung der Zuständigkeiten von Ethik und Moral – speziell angesichts der konkreten Aufgaben medizinischer Ethik.